Zu diesem Buch
Einleitung & Vorwort
.. Die Zeitzeugen
.. Multiplikatoren
.. Das Museum
.. Die Freiwilligen
.. Die Besucher
.. Die Stadt
Herausgeberin
Rezensionen/Links

Die Besucher

Im fünften Abschnitt sprechen Besucher über Auschwitz, die sich innerhalb eines Seminars oder auch mehrtägigen Besuchs mit dem Ort auseinandersetzen.

Avner Shemesh kommt aus Tel Aviv und studiert Jura. Er arbeitet als Security Guard für die israelische Regierung und bewacht Delegationen u. a. von Politikern und Schülern, die ins Ausland reisen.

Der Kontakt mit ihm beschränkt sich anfangs darauf, dass er mich kühl anguckt und fragt: „Wer bist du? Woher kommst du?“ Auf dem Rückweg nach einem gemeinsamen Besuch in Auschwitz verabreden wir uns für nach dem Abendessen und sprechen kurz miteinander. Es besteht höchste Sicherheitsstufe, keiner darf aus dem Hotel. Er hat wenig Zeit. 

Herr Shemesh erzählt, dass er oft mit Delegationen die Vernichtungslager in Polen besuche. Dafür müsse er als Security Guard mit dem Thema Holocaust im Reinen sein. Sonst könne er seinen Job nicht machen. „Wir alle müssen über den Holocaust lernen, damit wir ihn verstehen“, sagt er. „Du darfst ihn dir nicht zum Feind machen.“ Und dann sei da noch etwas, was er Studenten und Schülern immer sage: Bittet die Holocaustüberlebenden nicht um Entschuldigung. „Kommt einfach zu uns, lass uns über Auschwitz sprechen und versuchen, alles zu tun, damit so etwas nicht wieder passiert.“

In der Internationalen Jugendbegegnungsstätte treffe ich Laura Fuchs-Eisner aus Wien. Sie besucht in Oswiecim für ein paar Tage ihre Freundin Sarah, deren Freund dort gerade seinen Zivildienst beginnt. Am Sonnabendabend gehen wir „auf ein Bier“ in einen Pub in Oswiecim. Dort diskutieren wir bis spät in die Nacht über Auschwitz und was dieser Ort für die Zukunft bedeutet.

Am nächsten Tag treffen wir uns zum Gespräch. Der Auschwitz-Besuch sei für sie schwierig gewesen, sagt sie. Die Leute im Museum, die Unruhe. Viele hätten geweint. Sie habe es nicht fassen können. Immer wieder fehlen ihr die Worte und sie schaut in den Garten. Irgendetwas scheint sie zu bedrücken. Dann findet sie Sätze dafür. Österreich stünde kurz vor den Wahlen und sie empfinde es als beängstigend, wie Politiker mit „Ausländer-raus!“-Parolen Wahlkampf machen. Dass sei dem Geschrei aus den 1930er Jahren ähnlich und „ich finde das so gefährlich“.

Guillaume Carle Renoux studiert in Paris Fotografie und Videokunst und reist allein durch Polen. In Oswiecim macht er für ein paar Tage Station. Das Museum Auschwitz hat er ohne Führung besucht. Die vielen Menschen hätten ihn irritiert und er sei fassungslos gewesen, dass einige in die Gaskammer im Stammlager hineingegangen wären, als sei das etwas vollkommen Alltägliches. „Während meines Besuchs im Lager spürte ich Distanz, so als wäre ich gar nicht in Auschwitz“, sagt er. „Ich empfand es wie eine Kopie und es war schwierig für mich, mir nur ein bisschen die Realität des Lagers vorzustellen.“ Aus der Sicht des Künstlers bringt er einen weiteren Aspekt in seine Betrachtung, der ungewöhnlich ist: Wenn man genau hinschaue, sehe man in Auschwitz eine Kreativität des Bösen, sagt er und sieht einen Zusammenhang mit dem Verbrechen des „11. Septembers“.

Tobias Uhlmann ist Mitglied einer Schülergruppe aus Meißen. Herr Jäckel, der Leiter der Gruppe, erlaubt mir, die Schüler bei ihrem Besuch in Birkenau zu begleiten. Es ist der 13. September 2006. 64 Jahre zuvor bombardieren Militärflieger das Lager, zerstören einige Gebäude der SS und machen Luftaufnahmen.

Nach der Besichtigung versammeln sich alle Schüler am Mahnmal zu einer Zeremonie: Zwei Schüler sprechen einen Text, legen einen Kranz nieder und alle schweigen eine Minute. Danach kommt es zur bereits geschilderten Begegnung mit dem israelischen Soldaten.

Abends sitzen Tobias Uhlmann und ich zusammen. Er sei müde und brauche noch viel Zeit, um all die Eindrücke verarbeiten zu können. Er berichtet von den Vorbereitungen für das mehrtägige Seminar und seiner Begegnung mit Herrn Mandelbaum, die ihn glücklich gemacht habe. Wir kommen auch auf die Begegnung am Nachmittag zu sprechen. „Kontakt ist wichtig“, sagt er. „Und speziell - über dieses Thema reden, ist das Allerwichtigste.“

Amir, Or und Amit, Schüler aus Aschkalon, gehören zur Gruppe, die Shosh Hirshmann in Polen begleitet. Am Abend vor unserem gemeinsamen Besuch in Auschwitz und Birkenau spreche ich mit Gila, ihrer Klassenlehrerin, und frage sie, wen sie sich als Interviewpartner für mich vorstellen könne. Sie wählt spontan Amir und Or aus und wir lernen uns kennen. Etwas abseits von uns steht ein großer, schlaksiger junger Mann. Or sagt, dass „er, Amit“, auch gerne, wenn es geht, mit mir reden wolle. Ich freue mich, „selbstverständlich geht das“ und wir vier verabreden uns für den nächsten Tag. Abends sitzen die Schüler und ich in meinem Pensionszimmer. Es ist höchste Sicherheitsstufe. Wir dürfen uns nur noch in unseren Zimmern oder auf dem Flur aufhalten.

Das Interview gestaltet sich schwierig. Keiner sagt etwas. Die frischen Eindrücke des Tages von Auschwitz und Birkenau liegen zwischen ihnen, den jungen Israelis, und mir, der Deutschen. Es ist schwierig. Mir kommt meine Zeit in einem Kibbuz, der in der Nähe von Aschkalon liegt, in den Sinn. Davon erzähle ich. Als der Name Mefalsim fällt, schaut Amit mich überrascht an: „Den kenne ich auch“, sagt er. „Ich habe dort, bis ich 16 war, mit meiner Familie gewohnt.“ Ein Lächeln huscht über sein ernstes Gesicht. Das konnte gerade mal nicht wahr sein. Dann geht es los: das Freibad, der Esssaal, der Kuhstall – in dem er gearbeitet hat. Und dann die Hühnerställe und das Beschneiden der Mandelbäume – es hätte so weitergehen können. Kann es aber nicht, denn Amir und Or sind ungeduldig. Sie sind nicht gekommen, um Geschichten aus dem Kibbuz zu hören und wir fangen mit dem Interview an.

 

 

 
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